Parlamentarischer Abend zu „Flucht: Forschung und Transfer“

17.01.2019

Lesen Sie hier meine Rede

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich zum Parlamentarischen Abend im Rahmen des Forschungsvorhabens „Flucht: Forschung und Transfer“ in den Räumlichkeiten der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.

Seit 2015 sind viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen und haben hier Schutz gefunden. Durch die gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen und wesentlich auch durch die Zivilgesellschaft und Wirtschaft, ist die Integration seitdem ein sehr gutes Stück vorangekommen. Viele der angekommenen Migrantinnen und Migranten haben bereits Arbeit gefunden oder sind in einer Ausbildung. Die Kinder sind in Schulen und Tagesstätten oft gut integriert. Und doch ist die Bewältigung der mit dem Zuzug verbundenen Herausforderungen noch längst nicht abgeschlossen. Mancherorts entstehen kulturelle Spannungen und vor allem kommunale Verwaltungen werden weiterhin auf die Probe gestellt. In der Folge ist auch die politische Debatte noch immer in weiten Teilen von den Ereignissen aus 2015 geprägt. Es lässt sich also durchaus sagen, dass die sogenannte "Flüchtlingskrise" zu langfristigen Auswirkungen in unserer Gesellschaft geführt hat.

Dies bedeutet auch, dass wir das Thema Flucht stärker in den Blick nehmen müssen und uns noch stärker als bisher mit den Fluchtursachen beschäftigen müssen. Dabei ist mir klar, dass Fluchtursachenbekämpfung ein viel bemühtes Schlagwort in der Politik ist. Ein Schlagwort, das die komplexen Herausforderungen in der Realität oft nur unzureichend abbildet. Kriege, Gewalt, Korruption und Naturkatastrophen können nicht einfach unilateral beseitigt werden. Armut lässt sich nicht von heute auf morgen besiegen. Und der Klimawandel, als immer bedeutendere Fluchtursache, ist eine globale Aufgabe.

Seit 2015 haben wir unsere Aktivitäten in der Migrations- und Fluchtforschung erheblich ausgeweitet. Dabei legen wir Wert auf disziplinübergreifende und praxisnahe Forschung – gerade um die vielschichtigen Herausforderungen adäquat zu erfassen. Zudem sind uns transferbezogene Elemente in der Forschung besonders wichtig. Erkenntnisse aus der Forschung müssen so aufbereitet werden, dass sie von handelnden Akteuren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zügig zur Lösung drängender Probleme genutzt werden können. Dies ist eine wesentliche Zielsetzung des heute im Mittelpunkt stehenden Projektes "Flucht, Forschung und Transfer" des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück und des Bonner International Center of Conversion (BICC).

Ziele des Forschungs- und Transferprojektes sind,

• eine Bestandsaufnahme und Vernetzung der Forschungslandschaft zum Themenkomplex "Flucht" zu erstellen und
• die Wissensbestände zu Gewaltmigration, Flüchtlingspolitik und (Re-)Integration zusammenzutragen.

Eine interaktive Forschungslandkarte wurde bereits im Januar 2017 im Ausschuss für Bildung und Forschung des Deutschen Bundestages präsentiert. Sie beruht auf einer umfassenden Datenbank zu relevanten Forschungsprojekten im gesamten Bundesgebiet die seitdem fortgeführt wird und insgesamt auf sehr positive Resonanz gestoßen ist. Darüber hinaus wurden die Wissensbestände in bisher 10 Themenfeldern der Migrations- und Fluchtforschung zusammengetragen und in übersichtlicher Form veröffentlicht und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Projekt leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Etablierung der Flüchtlingsforschung an der Schnittstelle zur Migrations- und Integrationsforschung.

Ein zentrales Thema des Projekts ist zudem die Forschung zu Flucht und Gewaltmigration, ein Thema, das heute Abend im Vordergrund steht, und über das wir diskutieren wollen. Mit dem Beispiel Afghanistan hat das Projekt dabei ein für Deutschland hoch relevantes Herkunftsland ausgewählt: Deutschland ist dort stark engagiert – gleichzeitig gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl an geflüchteten Afghaninnen und Afghanen in Deutschland. Die schwierige Lage in diesem Land ist auch ein Beispiel für die Komplexität von andauernden Fluchtursachen und für die vielfältigen Schwierigkeiten – und auch ethisch-moralischen – Herausforderungen, die sich in der Fluchtursachenbekämpfung ergeben können. Ich vermute deshalb, dass wir hier und heute eine lebhafte Diskussion führen können, die uns genau das aufzeigt. Zu einer tragfähigen Flüchtlingspolitik müssen wir uns stärker als bisher mit der Bekämpfung der Fluchtursachen beschäftigen. Dies beinhaltet auch ein international koordiniertes Vorgehen.

Fluchtursachenbekämpfung ist eine vielschichtige Aufgabe. Sie umspannt die Entwicklungszusammenarbeit und reicht über Handelspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit bis hin zu Diplomatie und zur Klimapolitik. Und nicht zuletzt ist es gerade für ein besseres Verständnis der Vielschichtigkeit der Fluchtursachen notwendig, dass Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Hier leistet auch das BMBF einen wesentlichen Beitrag.

Lassen Sie mich zum Abschluss aber auch noch Folgendes sagen:

Bei allen Herausforderungen, mit denen wir uns hierzulande durch Migration konfrontiert sehen, sollten wir nicht vergessen, dass die meisten Geflüchteten in Nachbarregionen Zuflucht gefunden haben. Dies gilt z.B. für die Geflüchteten aus Syrien, die in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien aufgenommen wurden. Das gilt aber auch für viele weitere Krisenherde weltweit – man denke nur an die Rohingyas in Bangladesch oder die jahrzehntelangen Unruhen und Bürgerkriege im Kongo. Eine der größten Fluchtbewegungen der vergangenen Jahre – die hierzulande kaum wahrgenommen wird – ist die von Venezuela in die Nachbarländer – seit 2015 sind schätzungsweise 3 Millionen Menschen geflohen. Die meisten flüchten nach Kolumbien, ein Land, das selbst eine hohe Anzahl Binnenvertriebener hat.

Meine Damen und Herren,

wir sehen also, dass Flucht und Gewaltmigration eine weltweite, komplexe und nur multilateral anzugehende Herausforderung ist. Die Auswertungen der Forschungsaktivitäten in Deutschland im Projekt Flucht, Forschung und Transfer zeigen, dass sich die meisten Forschungsarbeiten mit der Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland beschäftigen – nach den Ereignissen 2015 ist dies auch sehr naheliegend. Die Forschung zu Flucht und zu Fluchtursachen ist jedoch immer noch unterrepräsentiert und auch die internationale Vernetzung ist durchaus ausbaufähig. Hier müssen und werden wir also noch nachlegen – und vielleicht lassen sich aus dem heutigen Abend ja auch Impulse für die weitere diesbezügliche Ausrichtung der Wissenschaft mitnehmen.

Ich freue mich auf eine angeregte und offene Diskussion.

Vielen Dank!