Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz

22.03.2017

Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Fürst, sehr geehrte Mitglieder der Unterkommission Bioethik der Bischofskonferenz,

ich freue mich sehr, dass die Unterkommission Bioethik heute hier in Berlin den Dialog mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sucht. Ich freue mich, dass dies bei der ersten Sitzung des neu konstituierten Gremiums erfolgt. Dieses Interesse ist ein gutes Zeichen für den zukünftigen Austausch.
An diesem Austausch ist mir auch persönlich besonders gelegen. Mit seinen Initiativen in der Bildung und Forschung versucht das Bundministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen einer sich rasch verändernden, stark globalisierten Welt zu leisten.
Bildung und Forschung sind existenzielle Grundlagen für unsere Zukunft. Dem Grundsatz der Freiheit der Forschung kommt in diesem Zusammenhang eine hohe Bedeutung zu. Forschung ist auf der anderen Seite auch nicht grenzenlos. Und nicht immer werden die in der Forschung verwendeten Methoden bzw. die auf dieser Grundlage gewonnenen Erkenntnisse positiv gesehen. Ein verantwortungsbewusster und von der Gesellschaft getragener Umgang mit Innovationen ist uns daher ein wichtiges Anliegen.
Gerade in den Lebenswissenschaften werden grundlegende Fragen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens berührt. Fragen zum Beispiel, die sich mit dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens befassen. Insbesondere in den Grenzbereichen des menschlichen Lebens treffen häufig unterschiedliche Einstellungen und Wertehaltungen aufeinander. Darum ist das Gespräch miteinander wichtig. Nur im konstruktiven Dialog kann es gelingen, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.

Rahmenprogramm „Gesundheitsforschung
Gestatten Sie mir zunächst, kurz die Forschungsförderung des BMBF in den Lebenswissenschaften und insbesondere in der Biomedizin darzustellen:
Die Gesundheitsforschung hat eine herausgehobene Stellung. Sie ist ein wesentlicher Schlüssel zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie der Bekämpfung von Volkskrankheiten oder der Sicherstellung der Welternährung. Das zentrale Ziel ist es, dass Bürgerinnen und Bürger möglichst schnell von neuen Erkenntnissen und Innovationen der biomedizinischen Forschung profitieren können.
Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, brauchen wir in Deutschland eine international wettbewerbsfähige Forschung. Wir brauchen Strukturen, die die Forschungsergebnisse aus dem Labor in die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten bringen. Und wir brauchen Lösungsvorschläge für die sozialen, ethischen und rechtlichen Herausforderungen, die sich durch neue Entwicklungen in der lebenswissenschaftlichen Forschung ergeben.

Gesellschaftliche Fragen und die Förderung des BMBF
Solche Herausforderungen sind beispielweise folgende Fragen: Wie gehen wir mit den immer größer werdenden Mengen an Patientendaten um? Wie bewerten wir Wahrscheinlichkeiten, die das Risiko beschreiben, mit dem wir von einer Krankheit betroffen sein könnten? Was muss nach einer Diagnostik mitgeteilt werden und was nicht? Welche Anforderungen ergeben sich bei solchen Fragen an die Forschenden, Förderer, Patientinnen und Patienten?

Ethische, rechtliche und soziale Aspekte (ELSA) der modernen Lebenswissenschaften
Um Lösungsmöglichkeiten für solche Fragen zu finden, finanziert das BMBF seit 1997 den Förderschwerpunkt „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte (ELSA) der modernen Lebenswissenschaften“. Rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr werden für ELSA-Forschung bereitgestellt. Neben Klausurwochen und Diskursvorhaben ist die Förderung von interdisziplinären Forschungsprojekten der zentrale Baustein des Förderschwerpunktes. Die Projekte greifen aktuelle Themen der modernen Lebenswissenschaften auf und tragen zur Klärung ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bei.
Die langjährige Förderung der ELSA Forschung durch das BMBF hat eine international anerkannte ELSA-Forschungsszene in Deutschland aufgebaut. Die Projekte greifen gesellschaftlich relevante Fragestellungen auf und entwickeln wissenschaftlich fundierte Kriterien für eine Abwägung bzw. für Handlungsoptionen. Dadurch wird eine strukturierte und sachgerechte Aufarbeitung der mit den Fortschritten in den modernen Lebenswissenschaften verbundenen Fragen ermöglicht.
Aktuell orientiert sich die Förderung der ELSA-Forschung an den im Gesundheitsforschungsprogramm aufgestellten Aktionsplänen. Beispiele hierfür sind die laufenden Förderungen zur ELSA der Systemmedizin, der Stammzellforschung oder der Neurowissenschaften. Dabei nehmen die Projekte auch die Perspektiven anderer Länder mit in den Blick.

ELSA Förderung zur Genom Editierung
Ein Beispiel dafür, wie die ELSA Förderung einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten kann, ist die ELSA Förderung zur Genom Editierung.
Seit Mitte 2016 werden sieben interdisziplinäre Forschungsprojekte gefördert. Ergänzt wird die Förderung durch fünf Klausurwochen. Hier setzen sich junge Menschen eine Woche lang in verschiedenen Settings mit ELSA-Fragen zur Genom Editierung auseinander. Wir erwarten uns von der Förderung eine substanzielle wissenschaftliche Aufarbeitung wichtiger ethischer und rechtlicher Fragen in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen der Genom Editierung.


Genom Editierung und ihre Anwendung
Als Genom Editierung bezeichnet man die Anwendung von Methoden, die in der Lage sind, ausgewählte Stellen im Genom präzise zu verändern. Insbesondere mit der neuesten Methode, CRISPR/Cas9, steht ein sehr effektives und zielgenaues Verfahren zur Verfügung. Es lässt sich in bakteriellen, pflanzlichen, tierischen oder humanen Zellen anwenden. Daher findet es gerade mit hoher Geschwindigkeit Einzug in die Forschung. Die Technologie eröffnet Chancen in vielen Bereichen der Lebenswissenschaften, von der Grundlagenforschung, der Pflanzen- und Tierzüchtung bis hin zur somatischen Gentherapien.
Grundlegende ethisch-rechtliche Fragen stellen sich bei der Genom Editierung in erster Linie bei Eingriffen in die menschliche Keimbahn. Grundlagenforscherinnen und –forscher haben deswegen selbst mit großem Engagement die Diskussion über die möglichen Implikationen der Genom Editierung angestoßen. In Deutschland sind Keimbahninterventionen durch das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verboten.

Ethisch-rechtlicher Diskurs in den Lebenswissenschaften
Gerade am Beispiel der Anwendung der Genom-Editierung zeigen sich die Herausforderungen in den Lebenswissenschaften besonders deutlich. Es muss häufig die Balance gefunden werden, die das Streben nach neuen Erkenntnissen und die ethisch gebotenen Beschränkungen ausgleicht. Aus Sicht der Forschungspolitik stellt sich dabei die Frage, wie wir Chancen durch Forschung nutzen und gleichzeitig gesellschaftlich verantwortbare Grenzen bewahren können.
Die Frage, was ich tun darf oder sollte, stellt sich in den Lebenswissenschaften häufig mit besonderer praktischer Dringlichkeit. Dies nicht zuletzt aufgrund der Ambivalenz bzw. der vielfältigen Nutzbarkeit von Forschungsergebnissen. Nicht nur Handeln, sondern auch Unterlassen kann ethisch problematisch sein.
In Deutschland blicken wir auf eine lange Tradition der ethischen Debatte zurück. Sie prägen diese Debatte aktiv mit, als Mitglieder dieser Bioethik-Kommission, aber auch als Mitglieder des Deutschen Ethikrates oder anderer Gremien. Das Forum Bioethik des Ethikrates am heutigen Abend ist ein gutes Beispiel, wie sie dabei den öffentlichen Diskurs zum aktuellen vielfach diskutierten Thema „Reproduktives Reisen" maßgeblich mitgestalten.
Die kirchlichen Positionen sind und bleiben bei solchen Diskursen wichtige Bewertungsmaßstäbe für den lebenswissenschaftlichen Fortschritt. In pluralen Gesellschaften wird es jedoch zunehmend schwieriger, gemeinsame Wertmaßstäbe oder jedenfalls ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln. Wie wollen wir also handeln, wenn die Genom Editierung sicher und zuverlässig einsetzbar wäre und wir einen Embryo vor einer tödlichen Erbkrankheit heilen könnten? Wäre dies praktizierter Lebensschutz oder sollen wir den heilenden Eingriff unterlassen, um die genetische Veränderung nicht an nachfolgende Generationen weiterzugeben?

Ich halte es deshalb für wichtig, das offene Gespräch miteinander zu suchen, um gemeinsam die Fragen zu diskutieren, die durch den Fortschritt in den Lebenswissenschaften aufgeworfen werden. Die Kirchen sind wichtige Akteure dieser gesellschaftlichen Debatten. Deshalb bin ich sehr daran interessiert, von Ihnen zu hören, welche Anknüpfungspunkte Sie für die schwierigen Fragen sehen, um diese in praktischer Verantwortung für gesellschaftliche Entscheidungsprozesse fruchtbar zu machen. Am Ende geht es darum, inwieweit wir auf der Basis unseres gemeinsamen Wertefundamentes den Fortschritt in den Lebenswissenschaften verantwortungsvoll und segensreich für die Menschen einsetzen können.
Ich freue mich auf den konstruktiven Austausch mit Ihnen.