Meine Rede im Deutschen Bundestag zum Europäischen Bildungsraum

11.10.2018

Europäische Kultur, europäische Identität, europäische Gesellschaft - hierfür schafft Bildung eine wesentliche Grundlage. Aus diesem Grund wollen wir mit der Förderung von Mobilität und Europäischen Hochschulnetzwerken einen gemeinsamen europäischen Bildungsraum stärken.

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa wirkt oft im Stillen. Viele Errungenschaften der Europäischen Union sind für uns quasi selbstverständlich, obwohl sie vor 60, 70 Jahren undenkbar waren: freies Reisen, eine gefestigte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Würde eines jeden Menschen - und nicht nur von einigen -, aber auch die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ein bereicherndes Studium in einem anderen Land. Das sind alles die kleinen und die ganz großen Dinge, die wir der europäischen Einigung verdanken und die erlebbar machen, was Europa ist. Diese Idee von Europa wollen wir im europäischen Bildungsraum in den Mittelpunkt stellen.

Leider erleben wir in vielen Ländern Europas populistische Strömungen, die sich oftmals Vorurteile zunutze machen. Im Einzelfall geht es natürlich darum, dass auch Kritik geäußert werden kann, wenn sie sachlich und fachlich berechtigt ist; aber wir brauchen eine sachliche Auseinandersetzung. Was uns alarmiert, ist, dass die Wissenschaftsfreiheit in vielen Ländern unter Druck gerät. Ich finde es richtig, dass auf der Bologna-Ministerkonferenz im Mai angesichts der Situation in einigen Bologna-Staaten die Themen „Wissenschaftsfreiheit“, aber auch „demokratisch verfasste Hochschulen“ in den Debatten der Minister eine ganz große Rolle gespielt haben. Wir werden in der Europäischen Union auch zukünftig größten Wert auf die Wissenschaftsfreiheit legen.

Glücklicherweise haben die Staats- und Regierungschefs und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in Göteborg sehr positiv auf die Sorbonne-Rede des französischen Staatspräsidenten Macron reagiert. Das Ganze hat natürlich auch einen tollen Effekt gehabt, weil es letztlich eine politische Aufwertung der europäischen Bildungspolitik bedeutet.
Wir unterstützen, dass die Europäische Union die stärkere Kooperation und die Vernetzung der europäischen Hochschulen fördern wird, weil wir damit einen Beitrag für den europäischen Hochschul- und Forschungsraum, aber auch für unsere europäische Identität und die Wettbewerbsfähigkeit Europas leisten können. Wir wollen, dass die europäischen Hochschulen ein Erfolg werden. Das BMBF plant daher ab nächstem Jahr eine ergänzende Förderung von nationaler Seite. Wir wollen nicht nur bei der Antragstellung unterstützen, sondern auch die ausgewählten Netze ergänzend fördern, an denen deutsche Hochschulen beteiligt sind.

Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen würdigt, wie ich finde, mit Recht die Rolle von Erasmus+, der Erfolgsgeschichte der europäischen Bildungsprogramme. Fast 10 Millionen Menschen haben von 1987 bis Ende 2017 mit Erasmus+ und seinen Vorgängerprogrammen Auslandserfahrung gesammelt. Quasi als Kulturbotschafter sind junge Menschen aus Deutschland in ein europäisches Nachbarland gegangen, haben ihr Heimatland vorgestellt und haben gleichzeitig früh Erfahrungen mit anderen Kulturen, Personen und Nationen gesammelt. Neugier und Offenheit für andere Kulturen und europäische Lebensweise wurden und werden hier geweckt.
Dennoch gilt: Nur 35 Prozent der Studierenden sammeln Auslandserfahrung; bei den Auszubildenden sind es sogar nur 6 Prozent. Ich sage ganz klar: Das ist zu wenig.

Wir brauchen mehr Auslandserfahrung, für die Studierenden und auch für die Auszubildenden. Um auch mehr Auszubildenden eine Teilnahme am Programm Erasmus+ zu ermöglichen, fördern wir als Bundesregierung sogenannte Poolprojekte, wo wir KMUs administrativ entlasten, und auch Einzelbewerbern, die sonst keine Möglichkeit hätten, aus dem gesamten Bundesgebiet den Zugang zu Erasmus+ erleichtern. Ich möchte, dass in Zukunft viel mehr Auszubildende in den europäischen Nachbarländern praktische Erfahrungen im Betrieb, mit Arbeitskollegen sammeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, die Europäische Kommission hat zu Recht festgestellt, dass das derzeitige Erasmus+-Programm finanziell nicht ausreicht. Deshalb sind wir für eine Stärkung von Erasmus+, und wir freuen uns, dass dieser Gedanke - so sind die Signale - aus vielen europäischen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament unterstützt wird.
Mobilität in Europa ist aber nicht nur ein Mittel zur Verbesserung der persönlichen Qualifikation - obwohl sie natürlich extrem wichtig ist. Nein, persönliche Begegnungen, interkulturelle Erfahrungen und gelebtes Miteinander über Ländergrenzen hinweg bereichern. Aber sie bereichern auch nicht nur, sie stärken auch unser europäisches Selbstverständnis oder - lassen Sie es mich anders formulieren - unsere europäische Identität. Diese europäische Identität, sie zeichnet sich eben durch eine gefestigte Demokratie, durch Rechtsstaatlichkeit, durch Gewaltenteilung, durch die Menschenwürde für jeden Menschen aus, und sie schätzt gleichzeitig die kulturelle Vielfalt in Europa und respektiert auch Unterschiedlichkeit. Für diese Erfahrung, diese Lernerfahrung haben die Nationen in Europa Jahrhunderte, um nicht zu sagen, zwei Jahrtausende gebraucht, und es hat viele Kriege, Verletzte und Tote gebraucht, bis wir erkannt haben, welcher Wert in der Europäischen Union steckt, und diesen gilt es herauszustellen.

Da es eine Fraktion im Deutschen Bundestag gibt, die im Forschungsausschuss gesagt hat, Bildung dürfe gar nicht eine europäische Idee unterstützen, will ich an dieser Stelle ausdrücklich genau das Gegenteil formulieren: Diese europäische Idee ist eine Riesenchance für die heranwachsende Generation. Sie gibt uns Frieden, sie gibt uns Entwicklungschancen als Individuen, sie gibt uns ein soziales Miteinander, sie gibt uns ein rechtsstaatliches Miteinander. Diesen Schatz gilt es auch im europäischen Bildungsraum herauszustellen. Das wollen wir tun.
Ich will ausdrücklich sagen: Der Antrag der Koalitionsfraktionen kommt zum richtigen Zeitpunkt und ist für die Arbeit der Bundesregierung eine wertvolle Unterstützung.
Herzlichen Dank.