Forschung und Innovation für Europas Zukunft

16.12.2016

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir lesen jeden Tag, dass Europa sich von den Menschen entferne, dass die Nationalstaaten Probleme besser alleine bewältigen könnten, dass Europa in der Krise stecke. Denjenigen, die dies behaupten, empfehle ich die Lektüre dieses Antrags. Denn er erzählt von einer Erfolgsgeschichte. Eine Erfolgsgeschichte, die die Europäische Union und die Mitgliedstaaten gemeinsam geschrieben haben.

Es stimmt, dass Europa derzeit vor großen Herausforderungen steht. Seit dem Brexit beschleicht mich die Sorge, dass die historischen Errungenschaften der EU verspielt werden könnten.
Europa wird von vielen Menschen nicht mehr als selbstverständlich hingenommen, sondern kritisch hinterfragt. Wir müssen uns diesen Fragen stellen und die richtigen Antworten finden.  Der Antrag „Starke Forschung und Innovation für Europas Zukunft“ kommt daher genau zum richtigen Zeitpunkt.

Zur Bewältigung großer Herausforderungen hilft es, sich auf seine Stärken zu besinnen. Und eine Stärke der Europäischen Zusammenarbeit ist die Europäische Forschungspolitik. Es gibt keinen anderen Politikbereich in der Europäischen Union, in dem schon so eng zusammengearbeitet wird, wie in Wissenschaft und Forschung. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung. Aber nicht nur das – es ist vielmehr der einzige Schlüssel zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie sie vom Forschungsprogramm Horizont 2020 adressiert sind.

Ich möchte daran erinnern: Das Leben im System Erde basiert auf Vielfalt. Die passenden wissenschaftlichen Antworten können nur aus einer ebensolchen Vielfalt des Zusammenwirkens entstehen. Denn wenn es um Antworten geht, dann wissen wir, dass diese nur transnational zu finden sind.
Wissenschaft und Forschung sind deshalb hervorragende Beispiele für den europäischen Gedanken und den unmittelbaren Mehrwert Europas für die Bürgerinnen und Bürger.

Die Bundesregierung hat die Europäische Forschungspolitik von Anfang an unterstützt und mitgestaltet. Dies hat auch in Zukunft höchste Priorität für uns. Deutschland war 2014 das erste Land, das eine Nationale Strategie für den Europäischen Forschungsraum vorgelegt hat. Auch andere Mitgliedstaaten haben in den letzten beiden Jahren durch nationale Aktionspläne und -strategien zum Europäischen Forschungsraum Verantwortung übernommen. Der vorliegende Antrag greift das Thema Europäischer Forschungsraum daher zu Recht prominent auf. Die Europäische Forschungs- und Innovationspolitik ist mittlerweile ein zentraler und integraler Bestandteil unserer Forschungspolitik.

Verantwortung übernehmen bedeutet aber auch, dass wir durch unsere gute nationale Förderung deutsche Forscherinnen und Forscher im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig machen. Die Zahlen sprechen hier für sich:

Deutschland ist sehr erfolgreich in Horizont 2020. Bis heute  wurden mehr als drei Milliarden Euro  eingeworben.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an deutschen Forschungseinrichtungen konnten unter Horizont 2020 allein beim Europäischen Forschungsrat (ERC) – also in der absoluten Spitzenforschung – in einem hoch kompetitiven Auswahlverfahren 368 Grants einwerben. Wir werden voraussichtlich nächstes Jahr – zehn Jahre nach Gründung des ERC – den tausendsten Grantee in Deutschland begrüßen können. Die ERC-Förderung bedeutet bisher 1,7 Milliarden Euro zusätzlich für die deutsche Spitzenforschung. Dies spricht nicht zuletzt auch für die Stärke des deutschen Wissenschaftssystems. Unsere – auch finanziell – großen Anstrengungen zahlen sich also auch wissenschaftlich aus.

Europa ist eine Gemeinschaft basierend auf dem Gedanken der Solidarität. Wenn wir wollen, dass Europa insgesamt stark ist, dann müssen wir auch die Staaten miteinbeziehen, die bisher noch nicht ihr volles Potenzial heben. Hierbei ist auch Deutschland in der Verantwortung:
Bei der Nationalen Konferenz zum Europäischen Forschungsraum am 10. Oktober 2016 hat Ministerin Wanka die Stipendiatinnen und Stipendiaten des neuen BMBF-Programms „ERA-Fellowships“ persönlich begrüßt. Damit machen wir engagierten Nachwuchskräften aus den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten das Angebot, für eine Zeit praktische Erfahrungen insbesondere im Wissenschaftsmanagement in Deutschland zu sammeln. Sie können damit einen Beitrag zur weiteren Vernetzung der Einrichtungen in ihren Ländern leisten.
Dies ist ein Beispiel, wie wir uns unserer gesamteuropäischen Verantwortung stellen. Auch bei den anderen Mitgliedstaaten besteht hier noch enormes Potential, den europäischen Forschungsraum gerade auch durch bilaterale Maßnahmen auszugestalten. Es reicht nicht aus, nur nach Brüssel zu schauen.

Vor allem dann, wenn ein Mitgliedsstaat in einer wirtschaftlich schwierigen Phase steckt, sind Investitionen in Forschung und Entwicklung ein Schlüssel, diese Phase zu überwinden. Forschungskooperationen können hier den entscheidenden Schub geben. Aktuell haben wir zum Beispiel das zweite Deutsch-Griechische Forschungs- und Innovationsprogramm gestartet. Das eröffnet gerade jungen Wissenschaftlern neue Perspektiven im eigenen Land und wirkt so einem Brain-Drain entgegen.

Nicht zuletzt ist Europäische Forschungsförderung wichtig für das gegenseitige Verständnis und für gemeinsamen Fortschritt. Kulturelle, soziale und wirtschaftliche Vielfalt sind die großen Stärken der EU. Denn unterschiedliche Traditionen und kulturelle Hintergründe bringen unterschiedliches Wissen hervor. Das Zusammenbringen der europäischen Forschung bringt viele positive Synergieeffekte mit sich. Viele junge Menschen, die durch die Mobilitätsprogramme wie Erasmus oder die Marie-Sklodowska-Curie-Maßnahmen gefördert werden, können Europa hautnah erleben, machen Erfahrung in einem anderen kulturellen Umfeld und bringen neue Ideen mit, wenn sie zurückkehren.

Doch bei allen Betrachtungen des Ist-Zustandes darf auch der Ausblick in die Zukunft nicht fehlen. Erste Überlegungen zum Rahmenprogramm ab 2021 werden bereits diskutiert. In diese forschungspolitische Diskussion wollen wir möglichst frühzeitig unsere Vorstellungen bei der Erarbeitung des Rahmenprogramms einbringen.

Vier Kernelemente unserer Position möchte ich benennen:
 Erstens: Eine gute finanzielle Ausstattung. Damit setzen wir ein klares Signal an die Bürger, aber auch an die anderen Mitgliedstaaten: Forschung hat Priorität, um den europäischen Gedanken voranzutreiben und Wohlstand in Europa zu schaffen. (Hier müssen Parlament und Regierung auch in Zukunft an einem Strang ziehen.)
 Zweitens: Bei der Debatte zum nächsten Rahmenprogramm müssen wir uns klar dazu positionieren, was wir national machen wollen, was wir gemeinsam mit anderen Mitgliedstaaten machen wollen und was wir auf die gesamteuropäische Ebene heben. Zu Recht spricht der Antrag von einer „klugen und kohärenten […] Arbeitsteilung nationaler, bilateraler und europäischer Forschungs- und Innovationspolitik“.
 Und drittens: Bei der derzeitigen Debatte um einen europäischen Verteidigungsfonds darf nicht übersehen werden, dass die EU-Forschungsprogramme bisher aus gutem Grund rein zivil ausgerichtet sind. Bei der verteidigungsorientierten Forschung bedarf es aufgrund der besonderen Sensibilität eigener Richtlinien und Teilnahmebedingungen. Dies kann nur in einem „eigenen Programm“ verwirklicht werden.
 Viertens: Europa kann sich keine Forschungs- und Innovationslücke zwischen den alten Mitgliedsstaaten und den „EU-13“ leisten. Wir sind EIN Europa!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen
Wissenschaft, Forschung und Innovation spielen eine zentrale Rolle für künftigen Wohlstand und Lebensqualität in einem geeinten Europa.
Den Beitrag, den Wissenschaft und Forschung für eine freie und offene Gesellschaft leisten, müssen wir gemeinsam fordern und fördern. Wenn diese Werte in Frage gestellt werden, müssen wir mehr denn je die Debatte über die Zukunft Europas führen.
Forschung und Innovation sind immer auch ein Plädoyer für Vielfalt und Freiheit.
 Der Antrag für starke Forschung und Innovation in Europa ist ein Plädoyer für ein starkes, freies und für die Zukunft gut gerüstetes Europa.
Ein richtiges Signal zu rechten Zeit!
Vielen Dank!