Forschung für die zivile Sicherheit

09.02.2012

Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wilhelm von Humboldt hat über Sicherheit gesagt – Zitat –: Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit. Diese Aussage ist nach wie vor gültig. Die Risiken für die zivile Sicherheit in unserer Gesellschaft betreffen immer mehr Bereiche in unserem Alltag. Sie reichen von der Gefahr terroristischer Anschläge – denken wir nur an die verhinderten Kofferbombenattentate auf den Bahnverkehr – über katastrophale Ereignisse bei Großveranstaltungen, wie zum Beispiel bei der Love-Parade in Duisburg, bis zur Anfälligkeit von IT-Strukturen in der Wirtschaft. Es gilt, für diese Risiken Vorsorge zu treffen. Dabei ist Sicherheit natürlich niemals Selbstzweck, sondern die Basis eines freien Lebens in einer demokratischen Gesellschaft, wie wir sie haben. Die Verantwortung für die zivile Sicherheit zählt als Element der Daseinsvorsorge zu den Kernaufgaben des Staates. Sie lässt sich allerdings nicht allein politisch oder verwaltungstechnisch erfüllen, sondern wir müssen sie gemeinsam angehen: in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Im Mittelpunkt steht die Frage: Welche Sicherheitskultur passt eigentlich zu einer freien und offenen Gesellschaft wie der der Bundesrepublik Deutschland? Hier bietet das Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ genau den passenden Rahmen.

Wir verfolgen einen ganzheitlichen, integrierten Ansatz, der die gesamte Innovationskette einbezieht, von der Forschung bis hin zur Anwendung. Wir beziehen die Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Staat mit ein und versuchen, gemeinsame Lösungen für konkrete Bedrohungsszenarien zu entwickeln. Mit dem neuen Sicherheitsforschungsprogramm wollen wir die Sicherheit erhöhen. Es sind Lösungen vorgesehen, die praktisch umsetzbar und vor allem ethisch zu verantworten sind und die von den Menschen akzeptiert werden. Lassen Sie mich einige Eckdaten nennen. Seit 2007 haben wir mit 250 Millionen Euro über 120 Verbundprojekte im Bereich der zivilen Sicherheit gefördert. Rund 50 Millionen Euro – das sind rund 20 Prozent der Gesamtfördersumme – wurden für gesellschaftswissenschaftliche Forschung genutzt. Juristen, Soziologen und Psychologen bearbeiteten von Beginn der Projekte an zusammen mit Technikern und Naturwissenschaftlern ethische, datenschutzrechtliche und andere gesellschaftliche Fragestellungen.

Wir wollen mit dem Sicherheitsforschungsprogramm auch die Chancen der zivilen Sicherheit als Wettbewerbsfaktor nutzen. Im Jahr 2010 hat der Markt für Forschung für die zivile Sicherheit und entsprechende Dienstleistungen in Deutschland ein Volumen von 20 Milliarden Euro gehabt. Wir erwarten in den nächsten zehn Jahren eine Steigerung auf 30 Milliarden Euro. Insofern ist es gut, dass rund 43 Prozent unserer Projektpartner beim nationalen Sicherheitsforschungsprogramm Unternehmen sind. Von diesen sind übrigens über 60 Prozent kleine und mittelständische Betriebe. Das zeigt, dass das Programm des BMBF gerade vom Mittelstand sehr gut angenommen wird. Wie die erforschten Sicherheitslösungen konkret aussehen, will ich an zwei Beispielen erläutern: Wir haben die Love-Parade in Duisburg noch in Erinnerung. Die Menschen fragen sich: Wie kann die Sicherheit der Besucher von Großveranstaltungen, etwa bei Fußballspielen oder Musikkonzerten, gewährleistet werden? Dafür hat das Projekt „Hermes“ seit 2008 unter Leitung des Supercomputing Centre am Forschungszentrum Jülich ein IT-System für eine Evakuierung entwickelt. Der neue digitale Evakuierungsassistent erstellt eine Prognose darüber, an welchen Stellen eines Veranstaltungsortes es in den darauffolgenden 15 Minuten zu einem gefährlichen Gedränge kommen kann. Das Ganze passiert in einer Echtzeitsimulation auf Grundlage der konkreten, aktuellen Personenzahlen und der vorhandenen Rettungswege. So können die Rettungskräfte und die Polizei in gefährlichen Situationen steuernd eingreifen.

In einem weiteren Projekt mit der Kurzbezeichnung ORGAMIR entwickeln wir ein System, das in U-BahnTunneln mithilfe von Sensoren gefährliche Stoffe entdecken soll und beispielsweise Rauchschwaden oder giftige Gase erkennen kann. Auch dies passiert in Echtzeit und ermöglicht so die Warnung der Passagiere und der Menschen, die unterwegs sind. Außerdem ermöglicht es den Rettungskräften und der Polizei, einzugreifen. Mit dem neuen Rahmenprogramm werden wir zusätzliche, neue Schwerpunkte setzen. Wir werden die gesellschaftlichen Aspekte der zivilen Sicherheit stärken, wozu auch der Umgang mit Risiken, das Sicherheitsempfinden der Menschen und die Katastrophenkommunikation gehören. Beim neuen Schwerpunkt „Urbane Sicherheit“ geht es um den Schutz vor Kriminalität, aber auch um die Sicherheit in öffentlichen Einrichtungen – ich denke hier zum Beispiel an Schulen; wir haben die schrecklichen Amokläufe in Schulen noch vor Augen –, um die Sicherheit im öffentlichen Personenverkehr und um die Versorgung der Bevölkerung im Katastrophenfall. Der Schwerpunkt „Schutz und Rettung der Menschen“ fokussiert zum Beispiel auf die Versorgung pflegebedürftiger Menschen im Krisenfall und die Rolle der neuen Medien als Alarmsystem. Beim Schwerpunkt „Schutz vor Gefahrstoffen, Epidemien und Pandemien“ geht es schließlich um die Erkennung, Bekämpfung und Eindämmung gefährlicher Krankheitserreger.

Wir haben mit Ihrer Unterstützung im Parlament vorgesehen, in diesem und den folgenden Jahren jeweils 55 Millionen Euro für das neue Programm auszugeben. Wir werden die internationale Kooperation mit Frankreich, mit Israel und mit den USA weiter ausbauen. Mit diesem Sicherheitsforschungsprogramm haben wir es geschafft, in Deutschland eine breit aufgestellte Forschungslandschaft zu etablieren und wichtige Impulse für die Aus- und Weiterbildungsaktivitäten im Handwerk, in den Ausbildungseinrichtungen und in den Hochschulen auf den Weg zu bringen. Ich erinnere an die berufsbegleitenden Bachelor- und Masterstudiengänge in diesem Bereich. Wir planen, mit dem Forschungsforum Öffentliche Sicherheit einen Studienführer herauszubringen, der genauer informiert. Meine Damen und Herren, freie und offene Gesellschaften sind vielleicht besonders verletzlich. Aber ihre Stärkung, die Stärkung der freien und offenen Gesellschaften, auch mithilfe der zivilen Sicherheitsforschung, ist wahrlich eine lohnende Aufgabe; denn es geht um unsere Sicherheit und um unsere Freiheit.

Herzlichen Dank.