„Das neue Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung“

20.06.2018

Meine Rede anlässlich des BMBF-Innovationsforums „Zivile Sicherheit“

Sehr geehrte Damen und Herren,

leben wir in einem sicheren Land?
Eine einfache Frage, auf die es viele Antworten gibt!
Schaut man auf den Global Peace Index, so steht Deutschland ganz oben auf der Rangliste der friedlichen und sicheren Länder. Weltweit liegen wir dort an 16. Stelle!

Befragt man die Bevölkerung in Deutschland nach ihrem Sicherheitsgefühl, wie dies ein führendes Meinungsforschungsinstitut Anfang 2018 getan hat, bewegt sich die Angst vor Terrorismus und Gewaltverbrechen weiterhin auf sehr hohem Niveau. So fühlen sich derzeit 36 Prozent der Bundesbürger persönlich durch Terroranschläge bedroht. Auch, wenn es z. B. um Naturkatastrophen sowie um Datenmissbrauch und -betrug im Netz geht, erwartet eine Mehrheit der Menschen, dass die Bedrohungen zunehmen.

Und dann ist da noch die kürzlich vom Bundesinnenminister vorgestellte „Polizeiliche Kriminalstatistik“ des Bundeskriminalamts. Sie zeigt, dass sich die Zahlen der Straftaten im vergangenen Jahr auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung befanden. So ist zum Beispiel bei politisch motivierten Straftaten und bei Gewaltkriminalität ein Rückgang zu verzeichnen. Aber auch die Anzahl der Delikte, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung am meisten beeinträchtigen - wie Wohnungseinbrüche, ist zurückgegangen.

Diese Aufzählung könnte ich noch weiterführen, doch bereits jetzt wird deutlich, dass sich die Frage nach der Sicherheit in einem Land bzw. in einer Gesellschaft nicht mit einem schlichten „ja“ oder „nein“ beantworten lässt.

Sie ist abhängig von vielen Faktoren. U.a. von:
• der politischen Lage
• der Frequenz und Aktualität von Terroranschlägen und Großschadenslagen
• der technischen Ausstattung und Handlungsfähigkeit der Polizei und Rettungskräfte
• den Chancen und Risiken immer stärker digitalisierter Lebenswelten, inklusive der mit diesem Wandel verbundenen Ängste
• [den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Globalisierung
• und nicht zuletzt vom Blickwinkel und Empfinden des Einzelnen

Meine Damen und Herren,
unabhängig von dieser Komplexität gehe ich davon aus, dass wir uns einig sind, wenn ich sage: Ja, grundsätzlich leben wir in einem sicheren Land!

Diese Komplexität zeigt aber auch, wie groß die Herausforderung ist, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes weiterhin zu gewährleisten und zu schützen und ihnen auch das Gefühl zu vermitteln, in einem sicheren Land zu leben.

Was ist beispielsweise zu tun, um Großveranstaltungen ausreichend abzusichern? Wie schützen wir unsere Polizei- und Feuerwehrkräfte bei lebensbedrohlichen Einsätzen? Oder wie stellen wir sicher, dass die Daten der Bürgerinnen und Bürger nicht missbraucht werden?

Ich meine: Die Freiheit und das Leben der Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren wie diesen zu schützen - das ist eine der zentralen Aufgaben des Staates und gerade in den heutigen Zeiten eines der vordringlichsten Ziele dieser Bundesregierung.
Um die zivile Sicherheit in ihrer ganzen Vielfältigkeit zukunftsweisend garantieren zu können, benötigen wir eine innovative Forschung, die praxis- und bedarfsorientiert zusammen mit Wirtschaft und Anwendern moderne und manchmal bahnbrechende Sicherheitslösungen entwickelt.

Konsequenterweise hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bereits 2007 das Programm der Bundesregierung „Forschung für die zivile Sicherheit“ aufgelegt. Die zivile Sicherheitsforschung ist dabei einer der fünf zentralen Forschungsbereiche innerhalb der Hightech-Strategie für mehr Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität in Deutschland.

Seit mehr als zehn Jahren treiben wir mit diesem Programm die Entwicklung innovativer Sicherheitslösungen in Deutschland voran. Ziel der Forschung ist die Entwicklung von Maßnahmen zur Bewältigung von Krisen, aber auch die Forschung zu deren Prävention. Denn die beste Krise ist die, die gar nicht erst entsteht.

Seit Bestehen des Programms haben wir dafür über 300 Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit rund 1.500 Partnern gefördert und fast 600 Millionen Euro an Fördermitteln zur Verfügung gestellt. Dabei haben wird die Förderung stets an den Bedürfnissen der Anwender ausgerichtet. Und die Erfolge können sich sehen lassen.

Ich nenne hier nur den Körperscanner, der mittlerweile an vielen deutschen Flughäfen zur Kontrolle der Passagiere genutzt wird, und auf dem nur die detektierten Objekte schematisch auf einem Piktogramm dargestellt werden. Ein weiteres Beispiel ist ein elektronisches System zur schnelleren und effizienteren Sichtung und Priorisierung von Verletzten bei Großunfällen (Triagierung), das schon bald im Raum Frankfurt zum Einsatz kommen soll.

Die Welt bleibt jedoch nicht stehen. In Zeiten fundamentaler gesellschaftlicher Umbrüche und technologischer wie auch digitaler Wandlungsprozesse ist das enge Zusammenspiel von Forschung und Praxis mehr denn je von zentraler Bedeutung, um das hohe Sicherheitsniveau in Deutschland zu halten.

Gerade der digitale Wandel stellt uns in der zivilen Sicherheitsforschung vor neue Herausforderungen, bietet aber auch Chancen: Wir können die Vorteile und Potenziale digitaler Technologien - wie zum Beispiel künstliche Intelligenz - erforschen und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger nutzbar machen. Der Mensch ist und bleibt der Mittelpunkt und wird auch in Zukunft unverzichtbar sein. Erst das Zusammenwirken von menschlichem Erfahrungswissen, menschlicher Kreativität und Improvisationsfähigkeit mit den digitalen Technologien bietet die große Chance, die Sicherheitslösungen einer neuen Generation zu entwickeln.

Die zivile Sicherheitsforschung zeigt uns bereits heute, wie die Anpassung an den digitalen Wandel gelingen kann: Durch die erfolgreiche Verknüpfung von analogen Kompetenzen mit digitalen Lösungsansätzen. Beispiele dafür haben wir einige: Ich denke da etwa an neue Roboterplattformen, die Gepäckstücke auf mögliche Spreng- und Brandvorrichtungen untersuchen. Oder an selbstständig agierende Flugroboter, die bei unübersichtlichen Großunfällen den Überblick behalten und den Rettungskräften ein wichtiges Bild über die Lage verschaffen. 

Zusätzlich spielen die neuen Medien in der zivilen Sicherheitsforschung eine immer größere Rolle. Apps und Social-Media-Kanäle werden vermehrt zur gezielten und gleichzeitig umfangreichen Kommunikation in Katastrophenlagen zwischen Behörden mit Sicherheitsaufgaben und der Bevölkerung eingesetzt. Dabei werden Bürgerinnen und Bürger dank der digitalen Medien bei Großschadensereignissen zu Helferinnen und Helfern.
Von der Vielfältigkeit dieser Lösungen, die aus den Projekten der zivilen Sicherheitsforschung hervorgegangenen sind, können Sie sich in der „Ausstellung zu Praxislösungen“ im Rosengarten selbst überzeugen.

Meine Damen und Herren,
Sicherheit in einer digitalen und vernetzten Welt zu gewährleisten bedeutet, sich immer wieder aufs Neue den Veränderungen zu stellen – und genau das machen wir. Dem Bundeskabinett liegt auf der morgigen Sitzung das neue Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit 2018-2023“ zur Verabschiedung vor. Das Programm ist unser Fahrplan für die zivile Sicherheitsforschung in den nächsten Jahren, mit dem wir Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft geben wollen. Dafür wollen wir jedes Jahr rund 60 Millionen Euro zur Verfügung stellen.

Ziel des neuen Programms ist es, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in allen Lebensbereichen weiter zu verbessern. Die Erforschung neuer Technologien, die Förderung neuer organisatorischer Kompetenzen und die Erschließung neuer Kommunikationswege führen dazu, dass Katastrophenlagen und Alltagseinsätze besser und zugleich sicher bewältigt werden können.

Damit tragen wir dazu bei, dass Rettungs- und Einsatzkräfte der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben bestmöglich unterstützt werden und ihr Eigenschutz verbessert wird. Leider haben wir alle in letzter Zeit in den Medien immer wieder von Angriffen auf Rettungskräfte und Polizei gehört. Hier sage ich in aller Deutlichkeit: Es kann und darf nicht sein, dass Rettungs- und Einsatzkräfte in ihrer Arbeit behindert oder gar bedroht, beschimpft oder angegriffen werden.

Forschung wird dazu beitragen, den Schutz der Menschen, die sich jeden Tag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger einsetzen, zu verbessern. Ein gutes Beispiel, wie wir dieses Ziel durch den Einsatz digitaler Technologien erreichen können, sind die von uns seit diesem Jahr geförderten Kompetenzzentren für autonome Systeme in menschenfeindlichen Umgebungen. Hier sollen intelligente Robotersysteme für den eigenständigen Einsatz bei Katastrophen, zur Triagierung oder zur Lageerkundung entwickelt werden, damit Rettungskräfte sich nicht selbst in Gefahr bringen müssen.

Damit Sicherheitslösungen auch schnell in der Praxis ankommen, stärken wir den Innovations- und Praxistransfer, indem wir beispielsweise das wissenschaftliche Know-how in diesen Kompetenzzentren bündeln. Ich bin mir sicher, dass durch das geballte Wissen und die praxisnahe Vernetzung mit Anwendern in diesen Zentren Deutschland seine internationale Spitzenstellung bei der Erforschung autonomer Systeme ausbauen wird. Kompetenzaufbau und -bündelung ist auch erklärtes Ziel des geplanten Spitzenforschungsclusters zur Früherkennung, Prävention und Bekämpfung von islamistischem Extremismus und Terrorismus.

Um die Umsetzung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse aus allen Forschungsprojekten zu beschleunigen, werden wir neben Feldtests und praxisnahen Evaluierungen auch die Entwicklung von Trainingsmaßnahmen, digitalen Schulungsmodulen und neuen Geschäftsmodellen fördern. Maßnahmen zur Unterstützung der innovationsfördernden Beschaffung können zudem dazu beitragen, den Transfer von Forschungsergebnissen in markt- bzw. beschaffungsfähige Produkte und Dienstleistungen zu beschleunigen und Anwendern den Zugang zu Innovationen zu erleichtern.

Wir brauchen ganzheitliche Sicherheitslösungen! Deswegen erfolgt in den interdisziplinär angelegten Projekten auch eine kritische Auseinandersetzung mit ethischen und rechtlichen Fragen. Denn was nützen neu entwickelte Sicherheitslösungen, wenn auf Anwenderseite Vorbehalte bestehen oder die Akzeptanz in der Bevölkerung nicht gegeben ist.

Und schließlich werden wir mit dem neuen Programm unser Engagement auf internationaler Ebene bedarfsgerecht weiterentwickeln. Die Vorhersage und Einschätzung von Katastrophengefahren sind ebenso ein globales Thema wie die Bewältigung von Katastrophenfolgen. Neben der bewährten Zusammenarbeit mit Frankreich, Österreich oder Israel haben wir im vergangenen Herbst eine Förderinitiative zur Stärkung des internationalen Katastrophen- und Risikomanagements gestartet. Hier fördern wir Kooperationsprojekte mit ausgewählten Ländern auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent, um Lösungsansätze zu entwickeln, die zur Bewältigung der Herausforderungen vor Ort beitragen.

Meine Damen und Herren,
Sie werden voraussichtlich morgen das neue Rahmenprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit 2018-2023“ druckfrisch in den Händen halten. Viele von Ihnen haben im letzten Jahr an dem Agenda-Prozess für das Programm maßgeblich mitgewirkt. Ich möchte allen ein großes Dankeschön aussprechen, die sich in diesem Prozess engagiert und ihr Expertenwissen eingebracht haben.
Gleichzeitig möchte ich Sie alle dazu einladen, sich bei der Umsetzung des neuen Rahmenprogramms aktiv einzubringen – denn es bleibt das Programm der Forschenden und der Anwender. Lassen Sie uns gemeinsam die zivile Sicherheitsforschung zukunftsfähig gestalten, um in den kommenden fünf Jahren mit Forschungsergebnissen Impulse zu setzen, die die Sicherheit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken und gleichzeitig dazu beitragen, die hohe Lebensqualität und wirtschaftliche Stärke unseres Landes langfristig zu gewährleisten.

Und jetzt wünsche ich uns allen eine inspirierende Konferenz mit spannenden Vorträgen und Diskussionen.