Zeitungsinterview zum bilateralen Forschungsprogramm mit Griechenland

01.08.2016

Vor wenigen Tagen war der Parlamentarische Staatssekretär im

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Thomas Rachel, in der Hauptstadt Griechenlands zu Gast. Hier unterzeichnete er zusammen mit dem stellvertretenden Minister für Bildung, Forschung und Religion, Kostas Fotakis, ein bilaterales Forschungsprogramm.

Aus diesem Anlass führte die Griechenland Zeitung mit Thomas Rachel folgendes Interview.

GZ: Was ist der Anlass Ihres Besuches in Griechenland?

RACHEL: Wir starten ein neues, noch größeres deutsch-griechisches Forschungsprogramm mit einem Volumen von 18 Millionen Euro: Neun Millionen stammen aus dem Haushalt der Bundesregierung und neun Millionen finanzieren die griechischen Freunde über die europäischen Strukturfonds. Man kann sagen, dass sich dieses Forschungsprogramm zu einem Flaggschiff der deutsch-griechischen Kooperation entwickelt.

GZ: Das vorhergehende Programm hatte ein Budget von insgesamt zehn Millionen Euro. Was war der Grund, den Betrag fast zu verdoppeln?

RACHEL: Das neue Forschungsprogramm wird sich, im Gegensatz zu dem vorhergehenden, über einen Zeitraum von drei statt zwei Jahren erstrecken. Zusätzlich haben wir auch das Themenspektrum erweitert und werden hoffentlich mehr Anträge fördern können als im etzten Programm. Bei der Abschlusskonferenz im Dezember hat man gespürt, dass sich die Wissenschaftler in Deutschland und Griechenland untereinander kennen und gut vernetzt sind. Das zeigt, dass die Qualität der Beziehung zwischen den beiden Ländern in den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen außerordentlich gut ist.

Perspektiven schaffen

GZ: Einer der Schwerpunkte der Zusammenarbeit ist die duale Ausbildung. Welche Chancen sehen Sie darin für Griechenland?

RACHEL: In Deutschland haben wir eine Jugendarbeitslosigkeit von rund sieben Prozent, in Griechenland liegt diese bei über 50 Prozent. Ein Baustein, um der jungen Generation hier Perspektiven zu schaffen, ist die duale Ausbildung. Sowohl die Betriebe als auch die jungen Menschen profitieren von dieser Art der Ausbildung:

Neben dem theoretisch fundierten Wissen, das die Berufsschulen vermitteln, können die Betriebe ihre zukünftigen Fachkräfte selbst ausbilden und diese später übernehmen. Wir haben entschieden, dass wir das sehr erfolgreiche MENDI-Projekt im Bereich des Tourismus noch ein weiteres Jahr finanzieren werden. Insgesamt werden somit vom BMBF in das Projekt voraussichtlich rund 1,7 Millionen Euro investiert. Und wir hoffen, dass die griechische Regierung die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Projekt bei seinen formanstrengungen für das griechische Berufsbildungssystem berücksichtigt, denn wenn Griechenland in der Tourismusbranche konkurrenzfähig sein will, braucht es top ausgebildetes Personal.

GZ: Besteht der Gedanke, auch in anderen Branchen als im Tourismus Projekte für die duale Ausbildung zu starten?

RACHEL: Im Rahmen des VETnet- Projekts sollen Pilotprojekte für zwei weitere Ausbildungsberufe, KFZMechatroniker und Elektroniker für Geräte und Systeme, beginnen. Für diese Projekte wird ein Dienstleister der griechischen Eisenbahn ein wichtiger Partner sein. Die griechischen Partner haben festgestellt, dass sich eine starke Überalterung in dem Betrieb abzeichnet und sie neue Fachkräfte benötigen. Im November werden dort rund 60 Ausbildungsplätze im Rahmen eines Pilotprojekts zur dualen Ausbildung zur Verfügung gestellt. Von deutscher Seite aus wird das Know-how eingebracht. Abgerundet wurde mein Besuch schließlich durch eine Zusammenkunft mit dem Erzbischof von Athen Hieronymus. Er war vor einiger Zeit mit einer Delegation griechischer Metropoliten bei mir im Bildungs- und Forschungsministerium in Berlin und hat um Rat gebeten, da sie gerne im Bereich der Landwirtschaft einen Beitrag leisten möchten, den jungen Menschen in Griechenland eine Perspektive zu geben. Inzwischen hat das griechische Erziehungsministerium der Durchführung einer Machbarkeitsstudie zum Thema duale Ausbildung in der griechischen Landwirtschaft zugestimmt.

Schwerpunkt Energie

GZ: Kommen wir zurück zum neuen Forschungsprogramm. Welche Themen stehen dabei im Fokus und was hat sich durch die Erhöhung des Budgets verändert?

RACHEL: Es haben sich einige Themenschwerpunkte und Bereiche in dem neuen Forschungsprogramm herauskristallisiert. Eine Zusammenarbeit wird im Bereich der Gesundheitsforschung, der Bioökonomie und der nachhaltigen Gestaltung der Agrarproduktion erfolgen. Ein Schwerpunkt wird auf den Themenkomplex Energie gelegt: von energiesparenden Technologien in verschiedenen Bereichen über Technologien zur Speicherung erneuerbarer Energien bis hin zu intelligenten Netzen sowie Übertragungs- und Verteilungssystemen. Auch die Reduzierung der umwelt- und klimaschädlichen Auswirkungen der Energieerzeugung aus konventionellen Energieträgern und schließlich die Unterstützung für die öffentliche Energiepolitik liegen uns am Herzen. Auch im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften gibt es vielfältige Möglichkeiten: Vor allem die Bereiche Kultur, Tourismus sowie kulturelle und kreative Industrien werden neu in das Programm eingeführt.

Auch Materialforschung, Schlüsseltechnologien sowie industriegeführte

und 2plus2-Projekte sind vertreten. Die bilateralen 2plus2-Projekte bestehen in der Regel aus jeweils zwei deutschen und zwei griechischen Partnern, wie Universitäten außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder einem Unternehmen. Gerade im Hinblick auf die junge Start-up-Szene werden wir mit Hilfe der Fraunhofer Gesellschaft ein Instrument anbieten, das auf der Basis der gemeinsamen Forschungskooperationen neue Ge-schäftsfelder erarbeitet, sodass der Weg aus der Wissenschaft in den Markt hinein geebnet wird.

GZ: Wie groß ist in etwa die Anzahl der Wissenschaftler, die in die Programme involviert sind?

RACHEL: Insgesamt waren beim ersten Programm etwa 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler involviert. Im kommenden Projekt werden das voraussichtlich mehr sein, da wir über mehr Gelder verfügen und mehr Projekte initiieren.

GZ: Gibt es bereits Zahlen oder Schätzungen, welchen Nutzen das letzte Programm hatte?

RACHEL: Es gibt eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen, die bereits erschienen sind. Auch wurde im Rahmen der Sozial- und Geisteswissenschaften, die sich mit der Finanzkrise beschäftigt haben, ein Handbuch erarbeitet, in dem erklärt wird, wie man in Kommunen mit der finanziell problematischen Lage umgeht. Es entsteht also nicht nur wissenschaftliches Material, sondern auch praxisorientiertes.

Besonderes Verhältnis

GZ: Gibt es ähnliche Kooperationen im Forschungsbereich auch mit anderen Ländern?

RACHEL: Dies ist das einzige bilaterale Forschungsprogramm, das die BRD mit einem europäischen Mitgliedstaat hat. Schon das zeigt die besondere Qualität der Beziehung zwischen den beiden Ländern. Ich habe mich immer bemüht, dass wir Projekte in die Wege leiten, die den jungen Griechen im Land Perspektiven eröffnen. Ich glaube, das hat den Blick der beiden Länder aufeinander zum Positiven verändert. Zudem kann mit Projekten im Bereich der dualen Ausbildung ein Beitrag geleistet werden, die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland zu senken. Dies alles kann zu einem Stimmungswandel beitragen, und wo der Wunsch vorhanden ist, helfen wir gerne.

GZ: Sehen sie die Gefahr, dass es durch die Zusammenarbeit zu einer Abwanderung von jungen Wissenschaftlern, beispielsweise nach Deutschland, kommt?

RACHEL: Das würde verkennen, dass Wissenschaft international ausgerichtet ist: Die Zusammenarbeit trägt dazu bei, dass in den sehr guten wissenschaftlichen Einrichtungen Griechenlands sowie auch in den geförderten Projekten neue berufliche Perspektiven entstehen. Gleichzeitig bleibt man Teil der weltweiten wissenschaftlichen Entwicklung und kann mit renommierten Wissenschaftlern aus Deutschland zusammenarbeiten. Auch der Vizeminister Fotakis hat den wesentlichen Begriff der „brain circulation“ angesprochen: Austausch und Zusammenarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Wissenschaft.

Größter Partner Griechenlands

GZ: Die Tendenz zur Abwanderung ist aber leider nicht rückläufig, sondern zunehmend. Ist dies auch ein Thema, dass in den politischen Gesprächen erörtert wurde?

RACHEL: Herr Fotakis hat von insgesamt 173.000 Akademikern, die in dem Zeitraum von 2008 bis 2014 das Land verlassen haben,  besprochen. Das stellt natürlich eine Herausforderung für Griechenland dar. Daher ist es  wichtig, dass Partnerschaften ausgebaut werden, die die Wissenschaft in Griechenland unterstützen und Möglichkeiten im eigenen Land aufzeigen. Deutschland ist der größte Partner Griechenlands in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und versucht, Griechenland dabei tatkräftig unter die Arme zu greifen.

GZ: Sie sind Griechenland verbunden und sind nahe am Geschehen dran: Haben Sie das Gefühl, dass sich die bilateralen Beziehungen der beiden Länder im Vergleich zu den vorhergehenden Jahren verändert haben?

RACHEL: Mein Eindruck ist, dass Griechenland noch einige Herausforderungen meistern muss. Zunehmend wird aber wahrgenommen, dass Deutschland ein guter Partner ist, der mit der engen Zusammenarbeit behilflich sein will, um nach vorne zu sehen. Ich glaube, dass bereits ein Wahrnehmungswandel zum positiven stattgefunden hat. Es ist jedoch wichtig, dass das Interesse und die Neugier für die Bevölkerung am jeweils anderen Land aufrechterhalten und unterstützt wird. Je mehr man über Menschen in anderen Ländern weiß, desto mehr kann man sich auch in die Probleme der anderen hineinversetzten und ihre Leistungen würdigen.

GZ: Wohin geht es dieses Jahr in den Urlaub?

RACHEL: Nach Griechenland, auf eine Insel.

Das Gespräch führten Jan Hübel und Robert Stadler.