„Ohne Solidarität funktioniert Europa nicht. Die Jugendlichen liegen uns am Herzen”

04.03.2014

Bildungsstaatssekretär Thomas Rachel MdB im Interview

Herr Rachel, Griechenland gehört noch immer zu den Sorgenkindern Europas. Sie sind regelmäßig in dem Land. Wie ist die Lage der Jugendlichen dort? (Arbeitslosigkeit etc.)

Es besteht durchaus eine schwierige Ausgangssituation, da Griechenland von der Krise geprägt ist. Es herrscht eine hohe Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent, der es entgegenzuwirken gilt. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, die Beschäftigungschancen junger Menschen auch in Griechenland zu fördern.

Immer wieder ist zu hören, dass viele griechische Jugendliche ihr Glück in Deutschland suchen. Ist da etwas dran? Und sind das wirklich Fachkräfte, die Deutschland braucht? Und fehlen die dann nicht in Griechenland?

Zunächst einmal ist es völlig normal, dass auch junge Griechen an deutschen Hochschulen studieren und hier ihre Jobchancen ausloten. Sie sind oft sehr gut qualifizierte und z.B im IT-Sektor interessante Fachkräfte.
Unabhängig davon beraten wir die griechischen Partner dabei, die duale Ausbildung mit den zwei Lernorten Berufsschule und Betrieb in dem Mittelmeerland einzuführen. Die duale Ausbildung bei uns hat ganz wesentlich zur geringen Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland beigetragen.
Eine praxisorientierte Ausbildung besonders im Bereich Tourismus ist ein zukunftstragendes System, die Beschäftigungschancen griechischer Jugendlicher in Griechenland selbst zu fördern. Dabei ist Deutschland ein wichtiger Partner unter den EU-Mitgliedsstaaten.

Das Bundesbildungsministerium arbeitet mit der griechischen Regierung eng zusammen. Sie selbst haben kürzlich in Athen ein Projekt zur dualen Ausbildung gestartet. Es heißt „Mendi – Mentoring Dual International“. Was genau ist das? Worum geht es da? Warum ist das so gut? Beispiel Robinson Club, konkret, schon Ergebnisse? Worum ging es jetzt bei Ihrem Besuch auf Kreta? Ist Deutschlands duales Ausbildungssystem ein Exportschlager?

Das vom BMBF mit 1,4 Mio. Euro unterstützte Projekt MENDI hat zum Ziel, Elemente des dualen Ausbildungssystems in Griechenland einzuführen. In der Wachstumsbranche Tourismus soll exemplarisch deutlich werden, dass die Beschäftigungsfähigkeit Jugendlicher durch stärker
arbeitsplatzorientiertes Lernen deutlich verbessert werden kann. Die griechischen und deutschen Hotels und Unternehmen arbeiten dabei eng zusammen und das ist auch wichtig. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung baut die DEKRAAkademie in enger Kooperation mit der TUI-Tochter Robinson Club berufliche Qualifizierungen nach deutschem Vorbild an den Standorten Athen und Heraklion auf. Durch die
Zusammenarbeit mit der Außenhandelskammer (AHK) in Athen wird sichergestellt, dass die erlangten Abschlüsse sowohl in Griechenland als auch in Deutschland anerkannt werden. Hier werden hohe Qualitätsstandards erreicht. Die Universität Osnabrück übernimmt die wissenschaftliche Projektbegleitung.
Aus unserer Sicht ist das Projekt MENDI erfolgreich gestartet. Dies ist ein gutes Beispiel für weitere duale Projekte in Griechenland. Wir sind gerne bereit, den Ausbau dieser Initiative im Rahmen der deutsch-griechischen Berufsbildungskooperation weiter zu begleiten. An welchen Standorten dies geschehen sollte, hängt auch vom Bedarf ab und wird Gegenstand der weiteren Abstimmung mit dem griechischen Bildungsministerium und anderen beteiligten Akteuren sein.

Grundlage von MENDI ist das sogenannte Berliner Moratorium, das die Bildungsminister sieben europäischer Länder im Dezember 2012 unterzeichnet haben. Welche Rolle spielt in Europa die Berufsbildungszusammenarbeit? Warum ist die so wichtig? Und wie funktioniert die überhaupt?

Die Grundlage für das Projekt MENDI ist das Berliner Memorandum, das die Bildungsminister sieben europäischer Länder – unter anderem auch Deutschlands und Griechenlands - im Dezember 2012 unterzeichnet haben. Im April 2013 haben unsere beiden Länder im Rahmen der bilateralen deutsch-griechischen Kooperationsvereinbarung zur Berufsbildung eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die aus Vertretern der jeweiligen Ministerien, Berufsbildungsexperten und Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie Kammern besteht. Unter der Leitung der Bildungsministerien der beiden Länder werden dort die Projektfortschritte bewertet und weitere gemeinsame Projekte in der Beruflichen Bildung entwickelt. Wir haben Griechenland im Blick!

Nicht nur bei der Bildung, auch bei der Forschung scheinen Deutschland und Griechenland immer enger zusammenzuarbeiten. Zu Beginn des Jahres haben Sie zwanzig bilaterale Projekte gestartet. Wie wollen Sie der griechischen Wirtschaft durch Forschung wieder auf die Beine helfen?

Eine weitere gute Nachricht im Forschungsbereich: Deutschland und Griechenland intensivieren die Zusammenarbeit auch im Bereich Forschung mit einem „deutsch-griechischen Forschungsprogramm“.
Zum 1. Januar 2014 startete das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das griechische Ministerium für Bildung und religiöse Angelegenheiten zwanzig bilaterale Forschungsprojekte. Das Themenspektrum reicht von der Gesundheits- und Energieforschung, der Bioökonomie über Schlüsseltechnologien, den Informations- und Kommunikationstechnologien, Nanotechnologie und Photonik bis hin zu den Geistes- und Sozialwissenschaften. Beide Länder stellen für diese Projekte zusammen mehr als 10 Millionen Euro bereit.
In der derzeitigen schwierigen Wirtschaftslage gehören stärker entwicklungsorientierte Projekte, mehr Beteiligung der Privatwirtschaft und eine verstärkte Kooperation zwischen Wirtschaft und staatlichen Forschungseinrichtungen und Universitäten mit zu den wichtigsten Zielen in Griechenland. Das decken wir mit unseren Forschungsprojekten ab. Das „deutsch-Griechische Forschungsprogramm“ ist das einzige bilaterale Forschungsprogramm, das die Bundesrepublik Deutschland mit einem anderen EU-Mitgliedsstaat hat. Alle sonstigen Kooperationen laufen nur noch über das Europäische Forschungsprogramm „Horizont 2020“. Dieses zusätzliche bilaterale Programm soll gerade die Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands stärken.
Die grenzüberschreitende Forschung und Innovation verbessert ganz allgemein den Zusammenhalt in Europa und gibt neue Impulse für Wohlstand und Wachstum. Gemeinsam mit Griechenland wollen und können wir herausragende Forschungsideen fördern und die Ergebnisse zur Anwendung bringen. Daher sind die Programme ganz bewusst so ausgerichtet, dass besonders kleine und mittlere Unternehmen eingebunden sind.

Welches dieser Forschungsprojekte ist besonders interessant? Warum?

Die Energieforschung steht im besonderen Fokus der Deutsch-Griechischen Forschungskooperation. Dabei sollen beispielsweise neuartige Materialien für Solarzellen und Konzepte für lastflexiblere Kraftwerke entwickelt werden. Der Übergang zu einer modernen, CO2-armen und sicheren Energieversorgung lässt sich nur gemeinsam mit europäischen und internationalen Partnern lösen. Die Bundesregierung hat sich daher zum Ziel gesetzt, das Energiekonzept 2050 auch durch bilaterale Zusammenarbeit umzusetzen. Dabei ist Griechenland ein wichtiger Partner.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Entwicklung von Datenspeichern der Zukunft. Graphen optimierte Speicherzellen können Informationen tausendmal schneller als Flash-Speicher schreiben und lesen und benötigen dafür vergleichsweise wenig Energie. Deutsche Wissenschaftler wollen gemeinsam mit Partnern in Griechenland die Langzeit-Stabilität und Haltbarkeit dieser Speicherzellen verbessern.
Vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise erfahren die Sozial- und Geisteswissenschaften in der bilateralen Zusammenarbeit ebenfalls eine besondere Bedeutung. Die wirtschaftspolitischen Ereignisse und die gegenseitige Wahrnehmung in Griechenland und Deutschland sind feste Bestandteile der Forschungskooperation. Wenn wir mehr über die sozio-ökonomischen Auswirkungen der Krise wissen, können wir diese auch besser verstehen und bekämpfen.
Weiterhin werden Projekte zur mediterranen Ernährungssicherheit sowie zur nachhaltigen Agrarproduktion für gesunde und sichere Lebensmittel gefördert.

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