Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schülerinnen und Schüler,
„Auf Bürgermeister, Fürsten und Adel können wir verzichten; auf Schulen aber kann man nicht verzichten, denn sie müssen doch die Welt regieren“, hat Martin Luther einmal gesagt (Martin Luther, Tischreden).
Er hat erkannt, dass Bildung der Schlüssel ist, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern. Deshalb ist sein Zitat heute, an einem Tag, an dem wir 500 Jahre Reformation feiern, aktueller denn je. Die globalen Herausforderungen unserer Zeit sind groß: Klimawandel, Welternährung, Migration und Armutsbekämpfung sind nur einige Beispiele. Sie alle verdeutlichen: Wir müssen jetzt aktiv werden.
Einführung
Ein Ziel Martin Luthers war es, verantwortungsbewusste Bürger und Bürgerinnen zu bilden. Dabei ging es ihm um den richtigen Weg zu Gott. Gleichzeitig rief er aktiv dazu auf, das Bildungssystem der damaligen Zeit grundlegend zu verbessern und auszubauen. Zahlreiche Schulen, Akademien und Universitäten wurden in der Folge neu gegründet oder einer grundlegenden Reform unterzogen. In Deutschland haben wir der Reformation die größte Bildungsexpansion unserer Geschichte zu verdanken.
Martin Luther hielt gesellschaftlichen Wandel für notwendig, um den Herausforderungen seiner Zeit gerecht zu werden. Er beschrieb den Menschen als Teil einer sich im Wandel befindenden Umwelt. Er wusste um die begrenzte Reichweite des menschlichen Schaffens und die Knappheit natürlicher Ressourcen. Damit wies bereits er ein halbes Jahrtausend vor dem Club of Rome (1972) darauf hin, dass Wachstum Grenzen hat. Das Zusammendenken von Ökonomie, Ökologie und Sozialem gelang erst heute vor 30 Jahren: mit der sogenannten Brundtland-Kommission, die 1987 mit dem Titel „Unsere gemeinsame Zukunft" einen wegweisenden Bericht heraus gab. Dieser formulierte erstmals das Konzept der nachhaltigen Entwicklung und gab damit den Anstoß für einen weltweiten Diskurs und öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema Nachhaltigkeit. Das bekannteste Zitat des Brundtland-Berichts lautet: „Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Den Zusammenhang zwischen endlichen Ressourcen, der Notwendigkeit zur Nachhaltigkeit und der Bedeutung von Bildung hat Martin Luther erkannt – die Weltgemeinschaft hat etwas länger gebraucht. Erst in den Sustainable Development Goals, den globalen Nachhaltigkeitszielen, wird Bildung für nachhaltige Entwicklung als Ziel 4.7 explizit genannt. Es ist ein Ziel, das – anders als viele andere der insgesamt 17 Ziele und 169 Unterziele – für sich allein steht und gleichzeitig die meisten Bezüge zu den anderen Zielen aufweist.
Denn in den vergangenen Jahren ist klar geworden: Um den globalen Herausforderungen begegnen zu können, müssen wir auch heute unser Bildungssystem so ausrichten, dass wir verantwortungsbewusste, kritisch denkende Menschen bilden. Daher müssen wir Nachhaltigkeit ins Zentrum unserer Bildung stellen. Denn Bildung ist zentral für persönliche wie gesellschaftliche Entwicklung. Und Bildung ist genauso die Grundbedingung für jede nachhaltige Entwicklung.
Bildung für nachhaltige Entwicklung steht für eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt: Wie beeinflussen meine Entscheidungen Menschen nachfolgender Generationen oder in anderen Erdteilen? Welche Auswirkungen hat es beispielsweise, wie ich konsumiere, welche Fortbewegungsmittel ich nutze oder welche und wie viel Energie ich verbrauche? Bildung für nachhaltige Entwicklung ermöglicht es jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
Umsetzung der BNE
Unserem Ziel, die Bildung für nachhaltige Entwicklung in allen Bildungsbereichen zu verankern, sind wir in Deutschland vor einigen Tagen einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Am 20. Juni hat die Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung einen Nationalen Aktionsplan verabschiedet.
Im Rahmen des UNESCO-Weltaktionsprogramms Bildung für nachhaltige Entwicklung hat das BMBF mit vielen weiteren Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bildung in diesem Aktionsplan, Ziele und Maßnahmen formuliert, um Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland umzusetzen.
Dabei fangen wir mit den ganz Kleinen an. Im Kita-Bereich fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Stiftung Haus der kleinen Forscher. Da haben wir einen sehr guten Ansatzpunkt, um Bildung für nachhaltige Entwicklung mittlerweile in über 26.000 Kitas und Horten zu vermitteln. Nun fragen sich sicher einige von Ihnen und euch, wie man ein so abstraktes Thema in die Kitas und Schulklassen bringt. Hierzu ein Beispiel:
Wie ihr wisst, liebe Schülerinnen und Schüler, haben manche Kinder mehr Spielzeug und Anziehsachen als andere; manche Menschen haben ein teures Handy, ein schickes Auto und tragen nur Markenkleidung. Umgekehrt gibt es auch Familien, die nicht einmal eine richtige Wohnung haben, die nicht in die Sommerferien fahren können, für die jedes Paar neue Turnschuhe oder jede neue Jeans eine echte Herausforderung darstellen. Diese Unterschiede gelten nicht nur für Menschen, sie verstärken sich auch zwischen den verschiedenen Staaten. Hinzu kommt, dass der Klimawandel die landwirtschaftlichen Bedingungen völlig verändert und der Raubbau an Ressourcen beispielsweise die Möglichkeit verändert, Wasserwege schiffbar zu halten, wie dies mit dem Tschadsee im Niger sein könnte .
Im Weltverteilungsspiel – es heißt tatsächlich so! – des Hauses der kleinen Forscher lernen junge und ältere Menschen den Umgang mit Ressourcen spielerisch. Es geht um die Frage: welche Folgen hat mein, hat unser Energieverbrauch? Wie viel CO2-Ausstoß bewirken wir? Was sind die Folgen? Und es geht darum, kreativ Ideen zu entwickeln, um den Energieverbrauch auf der Erde gerechter zu verteilen.
Um diese Zusammenhänge zu verstehen, ist die Schule ein zentraler Ort. In der Schule kann man alle Kinder über viele Jahre erreichen. In der Schule können lebenslange Veränderungen bewirkt werden. Das gilt auch für die berufliche Bildung. Deswegen gehört das Thema Nachhaltigkeit auch in die Curricula der Bäcker und der Tischler und aller anderen, die ausgebildet werden. Beispielsweise finden in der Berufsschule Uelzen über den Unterricht hinaus zahlreiche Projekte und Veranstaltungen mit Nachhaltigkeitsfokus statt. Im Schuljahr 2015/ 2016 wurden erstmalig „Ernährungsbotschafter“ und „Energiedetektive“ ausgebildet. Letztere sorgen auch langfristig für die Energieeffizienz an den Schulen.
Wir verknüpfen das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung auch mit anderen Aktionen in unserem Haus. Im Moment läuft das Wissenschaftsjahr zum Thema Ozeane und Meere. Ein spannendes Wissenschaftsjahr, weil wir alle etwas mit Wasser, Strand und Meer verbinden. In diesem Wissenschaftsjahr diskutieren wir mit ganz unterschiedlichen Menschen. Dabei gehen viele junge Menschen, die „Plastik-Piraten“, regelmäßig auf Expedition, um zerrissene Tüten, weggeworfene Plastikflaschen oder verknotete Angelschnüre im Meer und am Strand zu suchen und zu dokumentieren. – Das ist praktisch, das kann Spaß machen, bei den Piraten dabei zu sein und das ist auch Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Eine Umstellung hin zu mehr Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusstem Handeln kann nicht von oben verordnet werden. Es braucht engagierte Debatten, die geführt und zu einer Lösung gebracht werden müssen. Dafür brauchen wir die Kompetenz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern, Politikern – und nicht zuletzt von Euch Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden. Insbesondere junge Menschen sind in der Lage, die Dinge auf den Kopf zu stellen, vollkommen offen Fragen zu stellen, neue Perspektiven einzunehmen und so aus eingefahrenen Spuren zu neuen Wegen zu gelangen.
Diese Projekte und Initiativen bewegen bereits tausende Menschen hin zu mehr Nachhaltigkeit. Um dauerhaft nachhaltiger zu handeln – und darum geht es uns – müssen sich aber auch die Strukturen ändern. Deshalb haben wir den Nationalen Aktionsplan entwickelt.
Bei der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans spielen junge Menschen eine entscheidende Rolle. Eure Stimme und Ideen zählen! Über eine Online-Konsultation von Februar bis März konntet ihr euch bereits in die Entwicklung des Aktionsplans einbringen. Das reicht uns aber noch nicht. Deshalb organisiert das BMBF im September ein Jugendcamp mit über 100 jungen Menschen aus ganz Deutschland. Hier tauschen die jungen Leute ihre Ideen zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung aus. Zudem wählen die jungen Menschen während der drei Tage aus Ihrer Mitte ein Jugendforum, das die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans begleiten wird. Somit haben wir erstmals ein Gremium, das nur aus jungen Menschen besteht, und gleichberechtigt mit den Erwachsenen die Umsetzung eines Nationalen Aktionsplan begleitet. Ich lade euch, liebe Schüler und Schülerinnen, ganz herzlich ein, mitzumachen und euch zu engagieren!
Demokratiegestaltung und Glaube
Denn, ich möchte es noch einmal betonen: Bildung für nachhaltige Entwicklung ist nicht nur ökologisch orientiert. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist auch ein wichtiges Instrument für Demokratiebewusstsein, für Demokratiegestaltung. Eine Demokratie kann nur leben, lebendig sein und funktionieren durch aufgeschlossene, informierte Bürger.
Eine Nachhaltige Entwicklung gründet sich auf viel Wissen und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen, aber auch - viel weniger materiell - auf einen verantwortungsbewussten, respektvollen Umgang mit unseren Mitmenschen, gerade den Andersdenkenden oder den Andersgläubigen.
Spannend finde ich den Umgang mit Glauben in unserer von Wissenschaft durchdrungenen Welt. Wissenschaft hat den Anspruch, frei von Ideologie zu sein. Bekenntnisorientierte Forschung, wie sie an den staatlichen theologischen Fakultäten der Universitäten in Deutschland und international betrieben wird, will die Grundwerte der Religionen für die Gegenwart beschreiben und weiterentwickeln.
Dafür bewertet sie die Überlieferung neu und zeitgemäß. Den alten Schriften, Gebetstexten, Liedern und Riten fügt die Forschung eine Sichtweise aus unserer Lebenswelt zu.
Wenn junge Menschen Theologie studieren, lernen sie ihren eigenen Glauben besser kennen, aber auch den ihrer Glaubensbrüder und -schwestern und den Glauben Angehöriger anderer Religionsgemeinschaften. Sie erwerben damit die professionelle Fähigkeit, über ihre eigenen Glauben und ihre Religion hinaus als Mittler zwischen Religionen zu wirken. Die Glaubensvielfalt innerhalb der Konfessionen und zwischen den Konfessionen sehe ich nicht als Folge einer übermäßigen Betonung des Individualismus‘ seit Beginn der Neuzeit an, sondern als einen kulturellen Wert, den ich sehr schätze. Die an den Universitäten gelehrte Theologie ist ein wesentlicher Teil der Aufklärung. Sie lädt dazu ein, sich selbst und den Mitmenschen in seinem anderen Glauben kennen zu lernen.
Es ist daher im öffentlichen Interesse, wenn auch die Islamische Theologie im Fächerkanon der deutschen Universitäten vertreten ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert diese Integration zusammen mit den Bundesländern erst seit 2011. In den letzten Jahren hatte ich vielfach Gelegenheit, die Forschenden, Lehrenden und Studierenden dieses jungen Fachs kennenzulernen. Von ihrem Elan wurde ich oft angesteckt. Die Debatte zum „Islam in Deutschland“ erhält durch sie eine geistreiche Komponente. Ich glaube, Luther hätte sich mit Hingabe mit islamischen Theologen auf Deutsch über den gemeinsamen Stammvater Abraham in ein Streitgespräch begeben.
Fazit
In diesem Sinne wünsche ich den nun folgenden Gesprächsrunden gutes Gelingen. Wir müssen nicht immer einer Meinung sein. Ein Erfolg ist es bereits, wenn am Ende manch eine die Gründe manches anderen für seine Meinung besser akzeptieren kann. Grundlage für unser Denken und Handeln muss stets, und das ist heute wichtiger denn je, ein verantwortungsvoller Umgang sowohl mit unseren Mitmenschen als auch mit den Ressourcen unseres Planten sein.
Ein gesellschaftlicher Dialog, wie er hier geführt wird - davon bin ich überzeugt - ist die zentrale Voraussetzung, um unseren aktuellen Herausforderungen zu begegnen und neue, innovative Lösungen zu entwickeln. Dabei sollten wir positiv in die Zukunft schauen. Denn, wie John F. Kennedy einmal treffend sagte: „Veränderung ist das Gesetz des Lebens. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart blicken, werden die Zukunft verpassen.“ Ich bin sicher, Martin Luther hätte ihm zugestimmt.
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