Forschung soll dem Wandel Beine machen - Interview mit der Super Sonntag zum Strukturwandel

11.06.2019

Lesen Sie hier mein Interview mit der Super Sonntag: 

© Super Sonntag Verlag

Das Bundeskabinett hat die Eckpunkte für ein Strukturstärkungsgesetz beschlossen, um die Vorschläge der „Kohlekommission“ umzusetzen. Wie soll der Strukturwandel ablaufen? Was bedeutet dies für das Rheinische Revier? Einer, der den Strukturwandel als Parlamentarischer Staatssekretär der Bundesregierung in Berlin und vor Ort begleitet, ist der Dürener Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel (CDU). Ihn hat Super Sonntag befragt.

Was bedeutet der Strukturwandel für unsere Region?
Thomas Rachel: Der Kreis Düren steht vor großen Veränderungen. Der wichtige Energieträger Braunkohle wird nach Empfehlungen der Kohlekommission früher als erwartet auslaufen. Der Kreis Düren ist der einzige Bundestagswahlkreis in Deutschland, der drei Tagebaue hat, und damit in besonderem Maße vom Strukturwandel betroffen ist.

Wie geht man damit am besten um?
Rachel: Zunächst einmal haben es meines Erachtens die Menschen in unser Region verdient, dass ihr Beitrag zur Energieversorgung Deutschlands in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gewürdigt wird. Tausende Beschäftigte in der Braunkohle sichern 24 Stunden am Tag bei Sonne, Regen und Schnee unser aller Versorgung mit Energie. Tausende Menschen haben in der Vergangenheit ihre Heimat in ihrer angestammten Ortschaft verloren und wurden umgesiedelt. Das war für viele sehr schmerzhaft. All diese Menschen in unserer Region haben für ihren Beitrag Dankbarkeit und Respekt verdient. Darüber hinaus müssen nun die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Dies hat das Bundeskabinett im ersten Schritt mit den Eckpunkten zum Strukturwandel getan.

Sie haben frühzeitig einen „12-Punkte-Plan für den Strukturwandel“ im Kreisgebiet vorgelegt. Warum?
Rachel: Die Strukturveränderung wird kommen. Deshalb ist es wichtig, dass wir sehr frühzeitig mit eigenen konzeptionellen Ideen von der Bioökonomie über die Energiewende, von der modernen Landwirtschaft bis zum Wasserstoff und einer intensiven Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft die Weichen für langfristig neue Wertschöpfung und Arbeitsplätze stellen.

Worin besteht der Unterschied zwischen dem Rheinischen Revier und den ostdeutschen Revieren?
Rachel: Im Gegensatz zu den ostdeutschen Revieren ist es für uns im Rheinischen Revier von Nachteil und eine große Herausforderung, dass der Rückgang der Braunkohle sehr schnell beginnt. Unser Vorteil ist, dass wir eine breite mittelständische Industrie, Fachhochschulen, mehrere Universitäten, das Forschungszentrum Jülich und andere Forschungseinrichtungen haben, die mit ihrem Know-how gute Anknüpfungspunkte für Zukunftsthemen bieten.

Was heißt das für betroffene Arbeitnehmer?
Rachel: Die Bundesregierung wird die Einführung eines Anpassungsgeldes für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Braunkohlewirtschaft vorschlagen. Gerade in Zeiten des Fachkräftebedarfs ist auch für andere Industrien die große Erfahrung der Beschäftigten in der Braunkohlewirtschaft von großem Wert. Den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA) habe ich gebeten, dass die BA vor Ort in der Region präsent ist und sich auch für die Betroffenen im Zulieferbereich qualifizierend, unterstützend und aktiv vermittelnd einsetzt. Das Wichtigste ist, dass wir durch neue Wertschöpfung Zukunftsperspektiven schaffen und Beschäftigung sichern.

Wie wird ein Strukturbruch verhindert?
Rachel: Die Bundesregierung hat – um einen Strukturbruch zu verhindern – im ersten Schritt ein Eckpunktepapier für ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ vorgelegt, auf dessen Grundlage bis spätestens 2038 rund 40 Milliarden Euro für die Weiterentwicklung aller Kohlereviere zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies ist eine außergewöhnliche Unterstützung für einen sehr langen Zeitraum. Das gibt uns die Chance, im Zusammenwirken mit Kommunen, Wirtschaft und Gewerkschaften, Zivilgesellschaft und Wissenschaft den Strukturwandel aktiv zu gestalten.

Wo soll es hingehen?
Rachel: In den letzten 100 Jahren ist die Industrie in Deutschland weitgehend durch Kohlenstoff geprägt. Ob in der Energieerzeugung mit Stein- und Braunkohle oder bei Heiz- und Mineralöl bis in die chemische Industrie. Wir sollten den Strukturwandel in den Kohleregionen als langfristigen Prozess der Transformation im Sinne der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und der globalen Nachhaltigkeitsziele verstehen. Das Rheinische Revier kann hier vorbildhaft den Weg in eine kohlenstoffarme Wirtschaft und Gesellschaft mit stark verminderten Treibhausgasen bis Mitte des Jahrhunderts beschreiten. Dabei muss das Zieldreieck von Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit im Blick behalten werden.

Wann gehen die Maßnahmen los?
Rachel: Mit dem Sofortprogramm von 2019-2021 startet die Bundesregierung noch in diesem Herbst. Dabei soll die Forschung dem Wandel Beine machen.

Wie tragen Sie im Bundesforschungsministerium konkret zum Strukturwandel bei?
Rachel: Im Rahmen des Sofortprogramms werden wir vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in dieser Region 50 Mio. Euro für zukunftsweisende Forschungsprojekte investieren, die nachhaltige Prozesse anschieben. Zentrale Themen sind dabei nachhaltige erneuerbare Wertschöpfungsketten, der Ausbau der künstlichen Intelligenz in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich und die Bioökonomie. Das Rheinische Revier soll „Modellregion Bioökonomie“ werden. Hier soll Kohlenstoff durch nachwachsende Biomasse ersetzt werden. Das Thema ist auch eine Chance für die moderne Landwirtschaft. Synthetische Kraftstoffe oder auch synthetische Kunststoffe bieten interessante Perspektiven für Mittelstand sowie die Chemieindustrie und ihre Beschäftigten.

Werden Projekte aus den Kommunen aufgegriffen?
Rachel: Bei uns im Kreis Düren wird der von den Kommunen Titz, Niederzier und Jülich angestoßene „Brainergy Park“ ausdrücklich im Eckpunktepapier der Bundesregierung erwähnt. Das ist ein toller Erfolg, für den wir uns über alle politischen Ebenen gemeinschaftlich eingesetzt haben. Außerdem ist das Schienenverkehrsprojekt Köln – Aachen als prioritäres Projekt gelistet und soll durch verkürzte Planungsprozesse beschleunigt umgesetzt werden. Straßenbauprojekte im Kreis Düren – wie die Ortsumgehung Golzheim – bekommen die Chance, in Planung und Realisierung vorgezogen zu werden.

Was bedeuten die Eckpunkte für das Rheinische Revier?
Rachel: Das Gesetz kann ein Chancengesetz für unsere Region werden. Wir haben Potenziale, die andere nicht haben. Europäische Modellregion für Energieversorgung- und Ressourcensicherheit, systematischer Wissens- und Technologietransfer gerade zum Vorteil kleinerer Betriebe, Internationale Bau – und Technologie Ausstellung, autonomes fahren, Energie – und Mobilitätsrevier der Zukunft. Wir gestalten mit den Akteuren aus dem Rheinischen Revier die Zukunft dieser Region. Forschung, Bildung und Innovation sind Motor für die strukturelle Weiterentwicklung des Reviers. Von den Starterprojekten des Bundesforschungsministeriums profitieren lokale Forschungseinrichtungen wie das Forschungszentrum Jülich, die RWTH Aachen und die FH Aachen-Jülich. Daneben plant die Fraunhofer-Gesellschaft neue Forschungseinrichtungen im Rheinischen Revier anzusiedeln. Hierdurch werden weitere Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Chancen der Kooperation für den lokalen Mittelstand eröffnet.